Olympia-Serie der Rhein-Neckar-Zeitung "Zehn Redakteure - zehn Disziplinen": Taekwondo (plus Video)

Üben für den Zweikampf: Kathrin Hoth trainiert mit Nicole Lehr den richtigen Tritt. Foto: Pfeifer

Wochenendausgabe 23. / 24.07.2016

Olympia-Serie "Zehn Redakteure - zehn Disziplinen": Taekwondo (plus Video)

Wo Kämpfer zu Marionetten werden. Schweiß, Koordinationsprobleme, ein ordentlicher Muskelkater - und trotzdem viel Spaß.

 

Von Kathrin Hoth

Dielheim. Mit wem ich kämpfen wolle, fragt Trainer Fatih Kargin. Ich mustere die möglichen Kandidaten. Sportlich wirken sie alle. Ist ein Mann besser, der vielleicht eher Rücksicht nimmt? Oder eine der zierlicheren Frauen? Doch Pech, ich habe zu lange überlegt. "Probier’s mal mit Timo", sagt Fatih und deutet auf seinen Trainerkollegen. Ausgerechnet. Der schwarze Gürtel um Timo Lehrs Taille sticht sofort ins Auge. Mir wird mulmig.

Eingebrockt habe ich mir die Sache selbst. Vor den Olympischen Spielen testet die RNZ eher unbekannte Disziplinen. Ich habe mich spontan für Taekwondo entschieden - eine kraftvolle Sportart, die auch noch zur Selbstverteidigung taugt. Nun stehe ich in einem geliehenen Dobok, der traditionellen weißen Taekwondo-Bekleidung, in der Vereinshalle des TV Dielheim und hadere mit meiner Entscheidung.

Timo, der mit Fatih die Taekwondo-Abteilung leitet, lächelt mich nett an. Ich kann mir nicht vorstellen, ihn gleich mit aller Kraft zu treten. Immerhin: Wir tragen beide Kopfschutz und Kampfwesten, das soll Verletzungen vorbeugen. Schließlich kämpfen wir mit Vollkontakt. Erlaubt sind Treffer oberhalb der Hüfte, auch Faustschläge - nur nicht auf den Kopf. Taekwondo, die drei Silben stehen für Fußtechnik (Tae), Handtechnik (Kwon) und Weg (zur Erkenntnis, Do).

"Chaeryot" ruft Trainer Fatih, das ist Koreanisch und heißt "Achtung". Es folgt eine Verbeugung. Das soll dem Gegner Respekt bezeugen. Meiner ist Timo ohnehin gewiss. Dann ist der Kampf eröffnet.

Worauf es ankommt beim Taekwondo hat Fatih mir in den eineinhalb Stunden zuvor versucht beizubringen. Die erste Übung: Paltung, ein Vorwärtskick. Fatih macht vor, wie Profis mit einem gekonnten Hüpfer Anlauf nehmen, mit dem gestreckten Bein gegen die Schaumstoffpratze eines Trainingspartners treten und nach einer blitzschnellen Wendung sogar noch einen Rückwärtstritt nachschieben - Dwit-chagi genannt. Fatih war früher in der Nationalmannschaft. Bei ihm sehen die Bewegungen kraftvoll, elegant und recht einfach aus.

Aber als ich versuche, es ihm nachzumachen, ist es wie verhext. Mein Kopf hat verstanden, was meine Beine tun sollen. Allein: Sie gehorchen nicht. Es fühlt sich an, als säße ein unsichtbarer Marionettenspieler über mir, der willkürlich an den Fäden für meine Beine und Füße zieht. Immer wieder kicke ich mit dem falschen Fuß, stehe auf dem linken statt dem rechten Bein, drehe mich in die falsche Richtung. Nach wenigen Minuten ist mein Dobok komplett durchgeschwitzt.

Ich hätte vorgewarnt sein müssen. "Das schwierigste ist die Koordination der Bewegungen", hatte mir Timo schon vorab erklärt. "Taekwondo ist eine Sportart, die den Kopf und den Körper beansprucht." Und obwohl es sich um eine sehr dynamische, schnelle Sportart handelt, gebe es sogar meditative Elemente, sagt Fatih. "Man muss Geduld haben, lernt, sich zu konzentrieren und ruhig zu bleiben, auch wenn der Gegner aggressiv wird."

Die Kampfsportart stammt ursprünglich aus Korea. Schon Wandgemälde aus dem ersten Jahrhundert vor Christus zeigen Kampftechniken, die noch heute im Taekwondo verwendet werden. Im Lauf der Jahre entwickelte sich daraus eine eigene Disziplin. 1973 fanden die ersten Weltmeisterschaften statt, im Jahr 2000 feierte Taekwondo seine Olympia-Premiere.

Von den Spielen kann ich natürlich nur träumen. Trotzdem gebe im Zweikampf mit Timo richtig Gas. Der erste Kick, gleich ein Treffer. Ob Timo es mir extra leicht gemacht hat? Mein Ehrgeiz ist geweckt. Ich kassiere einen Gegentreffer auf die Brust, setze zum nächsten Kick an - und plötzlich verstehe ich, warum meine Trainingskollegen so viel Spaß an dem Sport haben. Auch wenn es ein Kampfsport ist: Der Teamgeist beim Training gefällt mir. Und ich kann mich tatsächlich total auspowern. Die Welt um mich herum: komplett ausgeblendet.

Meine Technik mag minimal verbesserungsfähig sein. Trotzdem habe ich nach einer Trainingseinheit Erfolgserlebnisse. Zugegeben: Den Zweikampf habe ich nach Punkten wohl haushoch verloren. Aber immerhin hätte ich um ein Haar einem Schwarzgurt einen Kopftritt verpasst. Eine Hammer-Motivation. Und selbst der Muskelkater, der mich noch eine Woche danach vor allem in den Oberschenkeln begleitet, fühlt sich irgendwie gut an.

Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=ZQv2LAV1zMk&feature=youtu.be